Doch – Die Überwindung des Todes

Die Graffiti-Influencerin, Fotografin und Kriminologin Ike hat ein Faible für Ebay Kleinanzeigen, über das sie auch bei FICKO einen Text veröffentlichte. Aber nicht in diesem herablassenden Gestus der Bürgerlichkeit, wie er in letzter Zeit hier und da hervorquillt, sondern aus tatsächlicher Liebe zu den Menschen. Sie hat auch schon zwei wunderschön gedruckte Zines herausgebracht mit schönen Beispielen und Texten.


Fürs erste Heft mit dem  Titel “Wer hat die Spinnen in Krampnitz geklaut?” habe ich zu der hier oben abgebildeten Anzeige für eine Waschmaschine einen Text geschrieben. Er geht so:

Seit Menschengedenken weisen uns die Altvorderen, Early Adopter, Spruchkalender, heiligen Bücher und Wandtattoos dieser Welt auf die unerbittliche Vergänglichkeit des Seins hin. Vorher – es war noch mehr ein Menschengemeine – ging man in aller Regel davon aus, dass das alles immer so weitergeht , aber an einem bisher noch unbestimmten Punkt war man davon abgekommen.

Und so steht es also geschrieben: „Was ist, wird gewesen sein und was nicht ist, kann noch werden / viele waren vor uns da auf dieser schönen Erden / doch jetzt sind sie weg, also macht mal alle halblang / euer Feurio-Geschrei fühlt sich nach fünf Minuten kalt an“.

Manche Weisheiten zum Ende der Immerwährung bleiben subtil, sie lächeln wissend und kommen auf beiläufigen Gesten dahergeschwommen, nur die empfindsamen Seelen und ausgemachten Fans erkennen sie. Andere drängen mehr nach vorne und schreien uns ihre Botschaft ins Gesicht wie ein Nachwuchsrapper auf Instagram.

Oft gilt dabei der Tod als ultimativer Fluchtpunkt des Daseins, weil er aus der bisher überproportional in Quellen darniedergelegten Perspektive der Lebenden primär ein Wegsein bedeutet. Je nach Grad der Spiritualität ist er aber auch nur Auftakt zu weiteren Eskapaden im Jenseits oder in nie endenden Wiedereingliederungsmaßnahmen des CIRCLE OF LIFE. Ihnen allen ist aber gemein, dass er eine Zäsur bedeutet und für die Hinterbliebenen meist die Verbindung mit den betreffenden Persönlichkeiten ausfadet.

Eine womöglich nicht in voller Gänze bewusste Ausnahme bietet uns die Philosophin Katrini mit ihrem Meisterwerk an austarierter Ambiguitätstoleranz von einer Ebay-Kleinanzeige. Sie wollte ihre Waschmaschine loswerden, traut dem Braten aber nicht, weil die Erfahrung zeigt, dass die Leute ja allzu oft doch nicht kommen. Schon die Gattungsbezeichnung „Kleinanzeige“, in welche Katrini ihr Angebot/ihre Offenbarung stellt, trägt die kleine Form im Titel. Die Erwartungshaltung an die Tragweite der Bestimmungen und Zuständigkeiten wird von Beginn an begrenzt, gedämpft, eingezäunt, aber auch fest eingeschrieben in den Gletscherlauf der Geschichte und mithin rituell festgezurrt, institutionalisiert. Kleinanzeigen sind die Menschheit des Internets. Da gibt es alles und es ist u.a. auch schön anzusehen, mitunter ärgerlich, insgesamt aber besser als nichts. Der Kleinheit sich diametral entgegenstellend, sich beinahe auftürmend, drängend, fordernd, ja fast schon mit einem Augenzwinkern drohend schlägt hier jedoch die Wucht der Dialektik zu, mit der in dieser Anzeige, dieser Bekundung, diesem abgelegten Testament die Gleichzeitigkeit von Zugegensein und Verschwinden des verhandelten Gegenstands, dem lebensbejahend gebenden Ausblick auf die Zukunft („zu verschenken“) und unerschrocken idiosynkratischer Offenlegung der Verletzungen der Vergangenheit („Irgendwie liest hier anscheinend niemand“) verschmelzen bzw. Ping Pong spielen. Das Werk sagt es nicht laut, aber hier können wir was lernen. Zwischen Dasein – die Anzeige bezeugt ihre eigene Existenz durch den phänomenologischen Trick der Manifestation – und Tod („schon weg“) spielt sich die ganze kesse Tragikomödie, das lustige Melodrama der menschlichen Existenz ab. Und der Katrinismus weist uns den Weg, diese Existenz zu einem wohlgelingenden Abschluss und top Bewertungen zu veredeln.

Die Waschmaschine Candy Grande EVO. Das sind die 50er Jahre, Altnazis in der Regierung, Polizei, Justiz, Ärztekammer, Kanzleramt und BND sowie in Schulen, Krankenhäusern, Parteien und SS-Veteranentreffen. Dauerwelle und Minirock, Wäscheleinen über zerbombten Straßenzügen. Aber auch die große Zukunft, Aufbruchstimmung durch Verdrängen und Verleugnen, Fernweh (Grande Italia!) . Candy heißt die Gangsterbraut auf der Route 66, wie sie gen México ihre Dauerwelle im Wind flattern lässt, während die geladene M60 und weitere 200.000 Schuss auf dem Rücksitz auf ihren Einsatz warten. Weil das Vorgängermodell REVO zu vielen gut vernetzten Junkern die Bilanz vermieste, traute sich die Geschäftsleitung aus Angst vor den Todesschwadronen nicht mehr, full 1918 zu gehen und entschied sich für einen Vollwaschgang Weichspüler. Fragt ja dann doch niemand so genau nach, was denn nun tatsächlich besser geworden ist, seit Waschbretter nur noch als Metaphern existieren.

Der ehemals feilgebotene Gegenstand ist also von ungenannten Kräften aus den Tiefen unserer Mitte entnommen, er ist im Zentrum des Geschehnisses, aber dennoch nicht mehr da. Genau deshalb spannt er sich jedoch umso stärker aufs Firmament unserer Fantasie und die Mythen sprießen umso mehr, je weniger er sich zeigt. Er könnte zurückkommen, lach. Alles fließt, nichts wissen wir mit Sicherheit und doch muss es ja weitergehen und dafür braucht es den Heroismus des Alltags, den unbedingten Überlebenswillen im Mahlstrom der Elemente, dem Verschleiß nicht immer trotzend, doch ungebrochen und immer noch werden die Maschinen an die Nächsten und Übernächsten weitergereicht.

Die Zukunft fest im Blick lässt sich dennoch niemand auf die absurde Idee verkommen, Garantien zu vergeben. So viel Selbstachtung muss dann schon noch sein. Im Gegenteil. Die Gegenwart, die Gedanken, das Leben: Alles ist immer schon hinfort in genau jenem Augenblick, in dem wir ihrer gewahr werden und wir schauen in die Vergangenheit, wo wir die Gegenwart zu vernehmen glauben. Vanitas! Fluchtgründe, ach was, Flüchtigkeitsgründe. Die Welt, das Universum, das Leben. Natürlich stellen wir sie eindeutig als defekt ein. Soll sich ja niemand beschweren nachher. Und trotzdem: Kaum sind sie da, schon sind sie weg, der Bedarf ist nämlich doch dauerhaft anwesend

Der Geburtsfehler des abendländischen Denkens, das aristotelisch erstarrte 1-oder-0 wird hier aufgelöst in einer faszinierenden Gleichzeitigkeit bisher als kontradiktorisch gedachter Aggregatszustände. In einem weit über die Referenzierung taoistischer Gedankenbahnen hinaus auf die Transzendenz irdischer Leitbilder verweisenden, mehrfach gespiegelten Achsensprung dringt Katrini I. in beinahe brachial pragmatischer Haltung auf das große Panorama jenseits simplifizierend manichäischer Weltbilder. Schon auch sauer, aber lachend; schon weg, aber immer noch zu lesen. Geiles Gerät, aber eindeutig als defekt eingestellt. Das Werk ist Echo und Ausblick in einem, es ist die Einheit in Vielfalt. Eine Einheit ohne Unterdrückung, sie wächst einfach unaufhörlich und alle haben Platz. Der kaum noch ironisch zu nennende Diminutiv in der Selbstbezeichnung der Philosophin weist zudem eine gütige Bescheidenheit auf, die fernab von der Akkumulation von Sozialkapital oder gar Geld in sich ruht und mit voranschreitender Gravitas das rote Meer durchschreitet.

Die Schenkung verweist auf den kosmopolitischen Gestus der Menschenfreundlichkeit, die nachfolgenden Generationen sollen nicht unseren Müll wegräumen müssen. So verschränken sich auch die Menschengeschlechter, Katrini ist die große Versöhnerin der Alten mit den Jungen. Und aus dem Jammern und Klagen, dem Wehen und Bangen wird ein raues Gelächter („:-D“), dem Verfall der Freude entkommen die Geschichten der Menschen durch den Mut des unbeugsamen Unbewusstseins. Ich schenke euch das Meine, mal sehen, ob jemand kommt. Gut.